Berauscht von Gegend, Gesellschaft und Getränken
Seit vielen Jahren ist Haus Waldfrieden Hort und Brutstätte für kreativen Genuss und genießende Kreative. Künstler*innen spielen vor einzigartigem Panorama, entwickeln neue Projekte, Ulli Stein performt seine unterhaltsam informativen Weinproben und ein treues Publikum erfreut sich an spannenden Veranstaltungen.
Waldfrieden war und ist auch ein Ort der des munteren Streits um das richtige Leben im falschen. Neben den Kulturveranstaltungen werden auch Seminare und Diskussionsabende angeboten, schräge Moselgeschichten und jüngste Rapporte aus dem Tollhaus der Weinbürokratie sorgen bei Weinproben zuverlässig für fassungslose Gesichter und ungläubige Heiterkeit.
Oft genug folgen Worten auch Taten. Aktiver Widerstand gegen administrative Verunordnungen gilt als gelebtes Brauchtum, die Verhinderung eines unsinnigen Ferienparks an der Mosel wird mit gleichem Eifer betrieben wie die nachhaltige Unterstützung des Projekts eine Schule für Bissau.
Überleben im Steilhang
Der 2000 Jahre alte Weinbau an der Mosel, geprägt vor allem durch den Anbau des Rieslings in den steilen Schieferhängen, hat schon viele Krisen erlebt und auch überlebt: von dramatischen Fehljahren durch Frost, Regen, Krankheiten und Schädlingen bis zu Glykolskandalen und Weinschwemmen, von kurtrierischen Verordnungen des Jahres 1680 bis zum Sturm der bettelarmen Moselwinzer auf das Finanzamt in Bernkastel 1926.
Viele kleine Winzer, die meist im Nebenerwerb die Steilhänge bewirtschaften und selbst keine Flaschenweine produzieren, verkaufen ihre Produkte als Trauben, Most oder Fasswein an größere Weingüter, Genossenschaften oder Kellereien. Letztgenannte haben in den 60iger und 70iger Jahren einen Verdrängungswettbewerb betrieben, dem fast alle kleineren und mittleren Unternehmen zum Opfer fielen. Unterstützt durch das in Teilen fragwürdige Weingesetz von 1971 etablierten sich in den 80iger Jahren einige wenige Großkellereien, die immer geringere Preise zahlten, immer weniger auf Qualität achteten und durch billige Massenweine den ehemals guten Ruf der Mosel ruinierten. Leider passten sich auch viele Weingüter diesem Trend an, den Rest besorgten kleinkarierte Bürokraten, die oftmals einfältige Weinwerbung, eine in weiten Teilen lieblose Gastronomie und der dazu passende Massentourismus.
Immer noch geben Winzer (vor allem Fassweinerzeuger) ihre Betriebe entweder ganz auf oder ziehen sich aus den arbeitsintensiven Steilhängen in leichter zu bewirtschaftende Flachlagen zurück, andere Steillagenbetriebe finden erst gar keine Nachfolge.
Die Konsequenzen sind in vielen Moseldörfern sichtbar. Statt Reben wachsen Dornen, Jahrhunderte alte Trockenmauern verfallen, die dadurch erhöhte Steinschlaggefahr erfordert den Bau teurer Fangzäune. So wird eine alte Kulturlandschaft zunehmend verändert und zerstört.
Die Sache mit dem Strohwein
Jahrhunderte lang erzeugten Weingüter in Deutschland unbehelligt ihren Strohwein, bis es den Schöpfern des unseligen deutschen Weingesetzes von 1971 einfiel, dass deutscher Wein ausschließlich aus „frischen“ Trauben erzeugt werden dürfe. Damit war dem heimischen Strohwein mit einem Federstrich der Garaus gemacht. Dagegen haben wir geklagt – und nach einem achtjährigen Rechtsstreit bis hinauf zur Europäischen Kommission in Brüssel Recht bekommen. Nach dem Verbot durch das neue Weingesetz hatten sich österreichische Winzer den Begriff „Strohwein“ schützen lassen.
Da in Brüssel lediglich die „Produktion“ von Strohwein, nicht aber die Namensgebung verhandelt wurde, (dafür war wiederum der deutsche Weinbauminister zuständig), haben wir uns den „phonetisch hinreichend unterschiedlichen“ moselfränkischen Dialektausdruck „Striehween“ als Markennamen eintragen lassen.
Der „Striehween“ ist der Einzige seiner Art, er sieht aus wie Strohwein, schmeckt wie Strohwein, wird gemacht wie Strohwein, er darf nur nicht so heißen. Das Patent auf den Namen hat unser Nachbarland, bilaterale Verhandlungen hierüber würden wahrscheinlich die gesamte deutsche Weingesetzgebung zum Einsturz bringen. Da sei Bacchus vor.
Terroir ! Neuer Wein in alten Schläuchen
Eine der strittigsten Fragen im gesamten deutschen Weinbau, vor allem aber an der Mosel, ist die Einführung einer neuen Lagenklassifizierung, die im Grunde eine alte ist. Die Befürworter eines solchen Vorhabens verweisen gerne auf historische Beispiele wie die preußischen Lagenklassifikationen von 1832 und 1905 und natürlich auf die berühmten Klassifizierungen im Bordeaux und Burgund. Vergessen wird dabei gerne, dass die preußische Einteilung der Weinberge in 8 Steuerklassen eher der Steuereintreibung diente als der Weinqualität. Es ist außerdem fragwürdig, mehr oder weniger flachen Lagen in Frankreich mit hiesigen Steilhängen zu vergleichen. Wir halten eine auch nur annähernd objektive, wissenschaftlich fundierte Steillagenklassifizierung für nicht möglich.
Wohlgemerkt: es sollen im Fall des Falles nicht etwa die Flach-, Hang- und Steillagen in drei Qualitätsgruppen eingeteilt werden, sondern die Steilhänge würden in 1. 2. 3. usw. Lage klassifiziert. Spitzenweine mit entsprechenden Bezeichnungen wie Grand Cru oder 1. Gewächs könnten nach dieser Logik nur in den ersten Lagen wachsen. Selbstverständlich sind sehr gute Lagen eine wichtige Voraussetzung füe sehr gute Weine, aber das alleine ist nicht alles: Traubensorte, Boden, Erntemenge, Lese, Rebalter und schließlich die Traubenverarbeitung und Kellerbehandlung tragen genauso zur Qualität des späteren Weines bei. Das Optimum all dieser Kriterien führt zu Spitzenerzeugnissen – und nicht allein eine “adlige” Herkunft. Warum nicht wie beim Kochen oder beim Fußball? Geschmack und Tore zählen. Niemand würde im Restaurant den “klassifizierten” Weideplatz eines Rindviehs über alles stellen, sondern neben der offensichtlich guten Qualität des Ausgangsmaterials auch die Künste des Kochs bei der Zubereitung loben. Wer wollte denn, dass die Zugehörigkeit zur ersten Liga nicht durch die Tabelle ermittelt wird, sondern per Dekret festgelegt?
In einem trockenen Jahr wie 2018 können ein paar Regengüsse darüber entscheiden, welches die 1. Lage ist. Und die WeintrinkerInnen wissen selbst am besten, welcher Wein Ihnen schmeckt.
Rotwein an der Mosel
ist heute ein gewohntes Bild, war aber unter Androhung von Ordnungsstrafen bis 1987! gesetzlich untersagt. Einige Weingüter, darunter auch wir, mochten dieses Verbot nicht länger unwidersprochen hinnehmen und kündigten an, den Rotweinanbau notfalls gerichtlich zu erstreiten. Prompt wurde in einschlägigen Kreisen der schwerwiegende Verlust moselanischer Tradition und Identität beklagt und darüber hinaus unterstellt, dass rote Trauben an der Mosel sowieso nicht reif würden. Seltsamerweise gelang dieses Kunststück den nördlicher gelegenen Weingütern der Ahr, wie auch schon den Römern, die bereits Rotwein an der Mosel kultivierten. Noch im 19. Jahrhundert betrug der Anteil roter Reben an der Gesamtanbaufläche der Mosel ca.15%.
Die Auseinandersetzung brachte dann auch die ganze traurige Wahrheit an den Tag: Das gesetzliche Verbot, Moselrotwein zu erzeugen, wurde 1933 erlassen. Moselrieslinge erzielten zu dieser Zeit weltweit allerhöchste Preise und die Nazis benötigten zur Finanzierung ihrer Verbrechen schlicht Devisen.
Das Rotweinverbot wurde noch 1971! in die Neufassung des Weinbaugesetzes übernommen und erst 1987 auf entschiedenen Druck einiger Moselwinzer zurückgenommen.